10. Tag des 6. Monats 1479: Prozession mit dem Prinzen, dem späteren König Shō Shin

(Nach dem Bericht eines koreanischen Schiffbrüchigen in „Authentische Aufzeichnung der Schönheit der Yi-Dynastie“, übersetzt von Andreas Quast aus Iha Fuyu: Onarigami no Shima, S. 296)

Ich und die anderen sahen die Königin Mutter, wie sie zum Umzug erschien. Sie benutzte eine lackierte Sänfte, an derer allen Seiten Bambusjalousien herabhingen, und die von insgesamt zwanzig Sänftenträgern getragen wurde. Diese trugen alle weiße, aus Bastfaser gefertigte Kleidung, und auch ihre Köpfe waren mit Stoff umwickelt.

Die Krieger trugen Schwerter an der Hüfte sowie Pfeile und Bögen. Dem Anführer der Leibgarde folgten alles zusammen mehrere hundert Personen. Musik wurde gespielt und auf ein Zeichen hin hier und da Kanonen abgefeuert. Es folgten vier oder fünf hübsche Weiber, die in Wirklichkeit verkleidete, junge Männer waren, gekleidet in farbenfrohe Seidengewänder. Dann kamen in weiße, lange Hanfkleider gekleidete Schildträger.

Ich und die anderen traten hervor, um des Weges unseren Respekt zu zollen. Die Sänfte pausierte und es wurden zwei Zinnkrüge mit Reiswein serviert. Wegen des Reisweins wuschen ich und die anderen unsere Bärte in einem Holzgefäß. Der gute Geschmack des Reisweins bereitete Vergnügen, gleich dem Reiswein in unserem Vaterlande.

Die Königin hat einen jungen Sohn, der in den nächsten Zeilen beschrieben werden soll. Er war etwa zehn Jahre alt und von hübscher Erscheinung. Er trug eine Haartracht, hinten ohne Zopf. Seine Kleidung war von rotem Seidenstoff und mit einem Gürtel zusammengebunden. Er ritt auf einem gut genährten Pferd, welches von Pferdeführern begleitet wurde, die alle weiße Kleider trugen. Die anführende Reitergruppe bestand aus vier oder fünf Reitern. Zur Unterstützung befanden sich links und rechts auch noch eine Menge Leute.

Da waren über zwanzig Leibgardisten, die lange Schwerter trugen. Die Gruppe der Schirmträger war von der berittenen Gruppe etwas getrennt.

Ich und die anderen hatten auch eine Audienz mit dem jungen Prinzen. Vom Pferd abgestiegen wurden wieder zinnene Krüge mit Reiswein gereicht. Nachdem das Trinken beendet war, saß er wieder auf und ritt weiter. Sein Vater, der König, war gestorben, aber er als Nachfolger noch zu jung. Deshalb leitet die Königin vorläufig die Dynastie. Wenn der junge Prinz ein höheres Alter erreicht haben wird, wird er der König werden.

Es gab dort Pfeil und Bogen, Äxte, Großeisen, Hiebwaffen, Beile, Kriegssicheln und -hämmer, Rüstungen und Helme, für die sie Eisen wie auch Leder verwenden. Ihre Unterschenkel bedecken die Krieger mit Eisenbewehrungen und für den Schutz der Knie verwenden sie Leder.

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