Irgendwas ist anders – Ein Abgesang

13manchmal merkt man es. Sie sind irgendwie anders. Sie tragen dieselben Sachen, machen dieselben Dinge. Sie sind wie du und ich, Anfänger Fortgeschrittene, was auch immer.

Manchmal sind sie sogar Autoritäten auf ihrem Gebiet mit hohen Graduierungen, Titeln, oder Medaillensammlungen, einer eigenen Schule.

Und doch, irgendwas ist anders als bei mir.

Regelmäßig liest man von ihnen, auf Facebook, ihren Blogs, Webseiten, oder sonstwo, wie sie wieder an einem Seminar teilnahmen, organisiert natürlich vom internationalen Hauptquartier und geleitet vom Weltcheftrainer höchstpersönlich.

Und doch – man fühlt es irgendwie – irgendwas ist anders, aber es ist nicht greifbar. Alles machen und können sie, doch irgendwie nichts richtig. Sie wissen viel, sind überall, kennen diesen und jenen, lassen Fotos von sich und anderen machen. Bei Fragen winken sie ab, so als ob sie sagen wollten: „Das spielt alles keine Rolle.“

Unbezahlte Geschichtenerzähler reden über sie, verbreiten ihre „Heldengeschichten“, vielleicht in der Erwartung, eines Tages für diese Dienst belohnt zu werden: „Er trainiert sehr viel, nicht wahr?“ oder „Er tut alles für die Kunst“.

Bilder von Loyalität und Ehre werden heraufbeschworen, die irgendwie mit den zwei-, dreimaligen Trainings die Woche und gelegentlichen Wochenendtreffen in Verbindung stehen sollen. Dabei gibt man sich gediegen, ein bisschen wie das britische Königshaus.

Ist man nicht gerade einer dieser jungen Sportler – Oh, schöner Vogel Jugend! – dann ist Loyalität DAS herausragende Leitmotiv des Karate, sein Maßstab, seine Beurteilungs- und Benotungsgrundlage. Es ist die wichtigste Schnittmenge dessen, was traditionelles Karate genannt wird: Loyalität zum Club, Loyalität zum Meister, Loyalität zum Stil, Loyalität zur Tradition, Loyalität zu einer Sichtweise, Loyalität zur geheimen Botschaft der okinawanischen Bittermelone usw.

Technische Inhalte und Stilfeinheiten in allen Ehren: ohne Loyalität, bedeuten sie gar nichts. Und nur aus der jahrelang gezeigten und dokumentierten Loyalität heraus ergibt sich potentielle Berechtigung, irgendwann einmal in der Zukunft selbst ein echter anerkannter Vertreter dieses Stils, jenes Meisters, oder jener Idee zu werden.

Unverschämt offen zur Schau getragene rufen sie uns auf ihren Facebook-Posts zu:

„Hier schau, der Beweis: ich habe trainiert!“

Ok, läuft bei dir!

Aus Asien, Amerika, und Sankt Augustin regnet es freundliche Einladungen, stilvoll gestaltet und formuliert von Facebook-Account-besitzenden Anführern harmonischer, weltweit aufgestellter Trainings-Gruppen. Man kann sie kaum davon abhalten nicht bereits am Tage ihrer Gründung die erste Weltmeisterschaft abzuhalten.

„Komm doch mal wieder vorbei! Das macht Spass!“, lautet die Botschaft.

Dabei ist regelmäßige körperliche Anwesenheit der Schlüssel zu allem; qualitative Fortschritte hingegen spielen eine untergeordnete Rolle. Anführer auf Club- oder Verbandsebene werden auf Managementebene festgelegt, ausgewählt von oben, aufgrund beliebiger Qualitäten. Der Schwur der Loyalität und der uneingeschränkte Wille zum Vereinsleben ist das wichtigste Argument. Ein guter finanzieller Hintergrund und Erfolg im Job spielen ebenfalls eine wichtige Rolle: Karate kostet immens viel Zeit und Geld. Dann steht hohen Ämtern und Würden nichts mehr im Wege. Dies ist der erprobte Weg, sein eigenes Andenken am Leben zu erhalten und zu bewahren indem man das Andenken an jemand anderen aufrecht erhält. So geht das in der unkritischen Kulturwirtschaftsmaschine.

Dass es kaum jemandem gelingen kann, diesen Kreis zu durchbrechen, ist Fakt. Abweichungen sind nicht vorgesehen, selbstständiges Denken wird nicht honoriert, höchstens geduldet. Eintänzer wollen eintanzen, nichts anderes.

Irgendwas ist anders, doch es ist kaum unterscheidbar. Kultur, Gesundheit, Sport, Gemeinschaft, Selbstverteidigung, Ehre, der Kampf für ein besseres Selbst. Loyalität. Oder Politik? Nein, das ist es auch nicht.

Es ist der Konsum des Karate.

Der Konsum des Karate

Der Konsum des Karate

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